Herr Pauser, Plastik entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Motor der Konsumgesellschaft. Später wurde es zum Symbol der Überflussgesellschaft und der Wegwerfkultur. Was macht Plastik bis heute so verführerisch?
Plastik war neu, billig und machte Spaß. In den 1950er-Jahren eroberte es Haushalt und Kleiderschrank und ermöglichte es, einen neuen kleinen Reichtum nach Krieg und Mangeljahren zu empfinden. Andere Materialien waren teurer, kostbarer, schwerer verfügbar. Dinge aus Plastik waren etwas, das sich jeder leisten konnte, so billig, dass man sie auch wegwerfen konnte. Die 1968er-Generation, selbst gesättigt, konnte dann dem Mangel im Überfluss nachspüren – und wertete Konsum und Massenprodukte ab.
Worin genau besteht die Verführungskraft
des Kunststoffs?
Plastik hat eine Idee auf den Punkt gebracht, nämlich die einer
universalen Machbarkeit und Gestaltbarkeit im Zuge der fortschreitenden
industriellen Revolution und der technologischen Weiterentwicklung. Plastik als
Universalstoff, aus dem man gleichsam alles machen kann. Die privatisierte
Version dieser universalen Herstellbarkeit sind die heutigen 3D-Drucker. Sie
erneuern das Versprechen des Plastikzeitalters, nicht in Massenproduktion,
sondern dezentral.
Schon das Wort Plastik scheint einen
Zauber zu besitzen. Wieso?
Plastik, das ist auch ein Wort aus der Bildhauerei. Es wird
unterschieden zwischen der Skulptur, also dem, was aus einem Stein- oder
Holzblock herausgehackt wird, und der Plastik. Eine Plastik entsteht, wenn aus
einem Stoff eine neue Form aufgebaut wird. Der Begriff Plastizität beschreibt
die Eigenschaften einer weichen, formbaren Materie. Das Plastik ist so eine
Materie, eine, die für die Formbarkeit geschaffen wurde. Geschaffen für den
menschlichen Verwendungszweck, was Naturmaterialien ja nicht sind. Material und
Form gingen beim Plastik eine bis dahin unerreichte Synthese ein.
Ein Stoff, aus dem die Träume sind?
Der Traum vom Plastik ist, dass eine Idee, ein Wunsch realisiert werden
kann, ohne dass es eine Differenz gibt zwischen Realität und Wunschbild.
Plastik als vollkommener, reiner Stoff, der eine Herstellung ohne diesen Rest
erlaubt. Das ist die metaphysische Dimension des Plastiks: Plastik bringt den
Menschen in eine Art göttliche, magische Position. Die Restlosigkeit spielt
auch in einem unmittelbareren Sinne eine Rolle: Bei der Herstellung von Plastik
wird nicht gehauen oder geschnitzt, nicht gesägt oder gefräst, sondern
gegossen.
Die Welt nach den eigenen Wünschen formen.
Plastik bringt den Menschen in eine göttliche
Position – sogar im Badezimmer.
Plastik – eine saubere Sache? Klingt
absurd angesichts der Plastikmüllberge.
Ja, die Restlosigkeit ist eng mit der Schmutzfrage verbunden. Schmutz
ist die kleinteilige Materie, die wir als negativ bewerten. Und im
menschlichen Leben gibt es ja immer einen Rest, es gibt kein spurenfreies
Leben. Das Versprechen des Plastiks war es aber, dass man auf Erden quasi ohne
Spur, ohne Rest, ohne Schmutz, ohne Abfall leben könnte. Hinzu kommt, dass
Plastik leichter zu reinigen ist als andere Materialien – Plastik hat also eine
Art Totalisierung der Idee der Reinheit versprochen. Diese Idee ist religiösen Ursprungs, älter als die Entdeckung der modernen Hygiene. Heute ist
das ins Negative gekippt, weil Plastik für Müll steht. Plastik führt uns die
Unmöglichkeit der Utopie des rückstandsfreien Lebens und des mangelfreien Seins
vor. Plastik ist in die Position des Schmutzes eingerückt, den zu verdrängen es
anfangs versprochen hat.
Verführt Plastik trotzdem noch?
Psychologisch betrachtet ist es so, dass Plastikobjekte deshalb zur
Identifikation einladen, weil sie an das Phantasma des perfekten, geschlossenen
Körpers andocken, des Körpers, dem nichts fehlt. Ohne Lücke, ohne Riss, ohne
Überschuss, ohne Schmutz. Deutlicher formuliert: keine Körperöffnungen, keine
Scheiße.
Plastik hilft uns bei der Verdrängung?
Ein sehr alltägliches Beispiel sind die in Folie eingeschweißten und
designmäßig optimierten Lebensmittel im Supermarkt: unversehrte Objekte, ohne
Spuren des Prozesshaften des Lebens, die uns an die eigene Vergänglichkeit
erinnern könnten. Auf den Plastikverpackungen der Lebensmittel finden sich
übrigens meist Bilder der Natur, und auch auf der Ebene der Schrift wird Natur
heraufbeschworen. Plastik als Trägermaterial für Naturversprechen.
Hat das Künstliche, das dem Plastik zu
eigen ist, einen besonderen Reiz?
Je genauer man das Begriffspaar „künstlich/natürlich“ reflektiert, desto
mehr löst es sich auf. Es existiert einerseits auf der Welt nichts, was nicht
aus der Natur kommt; andererseits gibt es auf diesem Planeten nichts, was nicht
schon vom Menschen verwandelt wurde. Künstlich, natürlich – das sind
ideologische, kulturelle Zuweisungen, ja Kampfbegriffe. Interessant aber war
das Comeback des Plastiks nach der „Jute statt Plastik“-Phase Ende der
1970er-Jahre ...
Wir verdrängen das echte Leben mit
perfekt verpackten Produkten –
aber als Schmutz kehrt es zu uns zurück.
Plastik als Retroschick?
... es kam zurück in der Zeit des New Wave und dann des Techno,
einerseits als nostalgisch-ironische Reminiszenz an die Nachkriegsboomphase,
andererseits als demonstrative Abwendung von der 1968er-Generation und den
Ökos. Eine dauerhafte Renaissance feiert Kunststoff übrigens beim Outdoor-Sport
und beim Trekking: Wenn es in die wilde Natur geht, kann die Kleidung und
Ausrüstung gar nicht hightech genug sein. Da ist Kunststoff mit der
Naturgesinnung vereinbar und aufgeladen.
Längst ist Plastik allgegenwärtig. Wir
sind abhängig geworden, und nach dem Konsumrausch kommt der Kater: wachsende
Müllberge an Land, riesige Müllstrudel in den Meeren, Schadstoffe in den
Nahrungsketten von Tier und Mensch. Wie gehen wir damit um, dass Plastik nun
für Kontrollverlust, Schmutz und Krankheit, letztlich Tod steht?
Man könnte es die Wiederkehr des Verdrängten nennen, nämlich des
verdrängten Schmutzes. Diese Entwicklung erzeugt Ambivalenz im Verhältnis zum
Plastik. Und sie schafft gesellschaftliche Konflikte. Ein Ausweg soll das
Recycling sein. Ironischerweise ist das eine Neuauflage derselben Phantasmatik,
die zum Siegeszug des Plastiks geführt hat. Denn um den Traum vom
rückstandsfreien Leben geht es auch beim Recycling. Sämtliche menschlichen
Rückstände sollen in Form frisch gepresster Waren wiederkehren. Der Mensch soll
sein Heil durch die Aufzehrung seines eigenen Abfalls erreichen.
Was früher „Jute statt Plastik“ war,
das ist heute der Plastic Bag Free Day, der Internationale Tag ohne Tüte. Doch
lässt sich mit dem Aufruf zum Verzicht wirklich etwas ausrichten?
Das größte Problem bei der Abschaffung der Tüte ist, dass das Shoppen
erfunden wurde. Das ist im Gegensatz zum Einkaufen nicht zielgerichtet – und
man würde dafür auch keinen Einkaufsbeutel oder eine große Tasche mitnehmen.
Shoppen ist mehr ein Flanieren, eine Freizeitbeschäftigung. Beim Shoppen will
man zu einem sogenannten Impulskauf verführt werden, es geht darum, Wünschen zu
begegnen, Wünsche zu erwecken und zu verspüren. Für den Impulskauf kann ich mir
keine Tasche mitnehmen, die Tüte muss in der Sekunde des unerwarteten Impulses
verfügbar sein.
Erschienen im Themenheft "Plastik" des Magazins Fluter der Bundeszentrale für politische Bildung, wo viele weiter führende Artikel zum Themenfeld Kunststoff und dessen Müll-Problematik zu lesen sind: Plastik
Erschienen im Themenheft "Plastik" des Magazins Fluter der Bundeszentrale für politische Bildung, wo viele weiter führende Artikel zum Themenfeld Kunststoff und dessen Müll-Problematik zu lesen sind: Plastik