Seit annähernd 250 Jahren gibt es Kaffeemaschinen – in
hunderten Variationen. Sie alle können nur eines: Kaffee machen. Doch nicht nur
in ihrer äußeren Hülle, auch in ihrer Bauart, Technik und Handhabung könnten
sie verschiedener nicht sein.
Blickt man zurück auf die Geschichte der Kaffeemaschine, erkennt man eine Kette von Innovationen, bei denen eine Verbesserung des Funktionierens jedoch nicht im Vordergrund steht. Gerade weil der Zweck simpel und lange schon bestens erreichbar ist, verlagert sich die Innovation auf immer neue technische Wege, diesen zu erfüllen.
Blickt man zurück auf die Geschichte der Kaffeemaschine, erkennt man eine Kette von Innovationen, bei denen eine Verbesserung des Funktionierens jedoch nicht im Vordergrund steht. Gerade weil der Zweck simpel und lange schon bestens erreichbar ist, verlagert sich die Innovation auf immer neue technische Wege, diesen zu erfüllen.
Dabei wird die Ingenieurleistung des Erfindens primär von
irrationalen äußeren Trends getrieben. Die jeweils neue Technik wird zum Medium,
das ganz im Dienste jener gesellschaftlichen, kulturellen, ästhetischen und
metaphorischen Veränderungen steht, die die Wünsche und Sehnsüchte der Kunden
prägen. Design und technisches Funktionieren sind dabei nicht zu trennen.
Gemeinsam generieren sie eine Erscheinung, die primär Ausdruck der bewegenden
Themen und Faszinationen ihrer Epoche zu sein hat.
Technische Rationalität und irrationale Wünsche verbinden sich immer wieder neu zur Produktinnovation
Damit ist die Espressomaschine ein Musterbeispiel dafür, wie
die Veränderungen der Gesellschaft auf die technische Innovation einwirken. Und
eine Mahnung an alle Produktentwickler, das technische Funktionieren niemals
isoliert vom kulturellen und sozialen Umfeld zu betrachten. Denn was da
funktionieren soll, der Sinn und Zweck des Geräts, kann aus der technischen
Rationalität allein nicht abgeleitet werden. Es ist der Kunde, insgesamt die
Gesellschaft, die vorgibt, was jeweils unter „funktionierend“ zu verstehen ist,
und deshalb dann auch für den Hersteller am Markt „funktioniert“.
Zum Unterschied von anderen technischen Produkten kann die
Entwicklung der Kaffeemaschine nicht von der Zielsetzung abgeleitet werden,
immer „besseren“ Kaffee zu brauen. Denn die Sensorik hat bewiesen, dass Kaffee
zu jener Sorte von Genussmitteln gehört, bei denen die Präferenz primär durch
Initiation und Kulturation fest gelegt wird. Ähnlich wie bei Whisky und
Zigaretten wird der bittere Geschmack beim ersten Kosten stets als unangenehm
empfunden. Diese negative Komponente qualifiziert den Kaffee zu einem
Ritualgetränk, das erst als eingelerntes Genuss zu verschaffen vermag. Dies
unterscheidet ein Genussmittel vom Lebensmittel: die Schwelle des Einstiegs
hebt es vom Nützlichen ab. Und die Überwindung der Schwelle fixiert als
Initiationsritus den „gewohnten“ Geschmack.
Das Ergebnis ist beliebig und hängt von der Technik ab
Man wird nun einwenden, mit der Erfindung der
Espressomaschine im engeren Sinne 1948 sei tatsächlich ein Fortschritt in der
Qualität des Ergebnisses erzielt worden. Die Kombination von weniger Hitze und
mehr Druck löst mehr und schmackhaftere Aromastoffe aus dem Mahlgut, kombiniert
mit weniger Koffein und auch verträglicher für den Magen. Um so erstaunlicher
ist es, dass diese Art der Zubereitung sich nicht rasch und flächendeckend
durchgesetzt hat. Erst die Mode hat Espresso in Nordeuropa einen Teilmarkt
beschert – mehr aus Gründen des Prestige, der Italien-Sehnsucht und des
Zeitgeists, als aus Gründen des Wohlgeschmacks.
Die Bauart der jeweiligen Maschine bestimmt daher zumindest
in gleichem Maße den Geschmack des Kaffees, wie umgekehrt das Ziel eines „guten“
Kaffees die Entwicklung neuer Zubereitungstechniken motiviert. Dieses
Zusammenspiel von Technik und Ergebnis bewegt sich außerhalb eindimensionaler
Mittel-Zweck-Relationen. Damit öffnet sich ein weiter Raum möglicher
Gestaltungen und Funktionsweisen. In diesem ist in der historischen Rückschau
besonders deutlich zu beobachten, wie Ingenieurskunst von kulturellem Wandel
bestimmt ist. Und dass generell von einem Funktionieren nicht die Rede sein
kann, ohne die dem technischen Denken vorausliegende Vorentscheidung der
Gesellschaft, was denn als Ziel und Funktion überhaupt anzusehen und
wünschenswert gilt. Auch Funktion bedarf der Geltung, und die Rationalität der
Maschine ist angewiesen auf jenes der Rationalität Externe, das man Kultur
nennt.
Wer das Innovationsmuster erkennt, kann ihm folgen und dabei Erster sein
Auf das Thema gestoßen bin ich vor etlichen Jahren im Rahmen
eines Beratungsauftrags seitens der WMF. Meine frühere Firma begleitete die
Produktentwicklung einige Jahre lang. In der Arbeit ging es um Bestecke, erst
bei einem Abendessen mit den leitenden Managern kam zufällig das Gespräch auf
Kaffeemaschinen. Spontan fiel mir beim Rückblick in die Geschichte ein
Entwicklungsgesetz auf, das ich gleich in die Diskussion warf. Etwa zwei Jahre
später, das Abendessen war längst vergessen und die WMF nicht mehr unser Kunde,
machte ich in einem Elektronikladen die freudige Entdeckung, dass mein Impuls
Früchte getragen hatte. Doch worin besteht es nun, das Innovationsmuster der
Kaffeemaschine?
Während der traditionelle türkische Kaffee in einer simplen
Kanne zum Kochen gebracht wird, wobei der Satz sich durch die Schwerkraft beim
Auskühlen von der Flüssigkeit trennt, wurde bei der Übernahme des Getränks in
Europa schon im 18. Jahrhundert nach technischen Mitteln gesucht, diese Trennung
zu verbessern, obwohl dies Einfluss auf das Aroma hatte. Schon die erste
spezifisch technische Intervention in die Herstellungstradition borgte sich
Verfahren und deren damalige äußere Gestalt von einer erfolgreichen
Wissenschaft und Technik, der Chemie (und ihrer noch nicht klar abgegrenzten
Vorgängerin, der Alchemie, in der das „Abscheiden“ der Elemente voneinander im
Zentrum stand). Die ersten Kaffeemaschinen sahen aus wie aus dem Chemie-Labor:
Glaskolben, von metallenen Halterungen über einer Flamme positioniert,
verbunden mit Rohren und Schläuchen. Vorbild war die Destillation, ein
Verfahren, das bereits Fortschritte für sich verbuchen hatte können.
Leittechnologien faszinieren die Gesellschaft
Daneben waren freilich auch allerlei Varianten im Gebrauch,
die den technischen Aspekt, wie damals allgemein üblich, hinter
architektonischen Formen oder designerischen Traditionen der Tischkultur zu
verdecken suchten. Der nächste große historische Schritt setzte sich im 19.
Jahrhundert durch. Entsprechend dem wissenschaftlichen und technischen
Fortschritt stand ab nun die Physik im Zentrum der Aufmerksamkeit, vor allem
die Dampfmaschine. Diese revolutionierte die Industrie und den Transport und
wurde so zur Leittechnologie der Epoche, aber auch zum Sinnbild für den
Fortschritt an und für sich. Und so nimmt es nicht Wunder, dass alsbald auch
die Kaffeemaschine dem Zug der Zeit folgte und sich metaphorisch wie auch
technologisch von der Chemie zur Physik, vom Glaskolben zur Dampfmaschine
bewegte.
Die metaphorische Dimension dieser Verschiebung war so
deutlich, dass sie auch den Zeitgenossen nicht entging: eine große
Variationsbreite von Modellen ahmte die Dampflokomotive nicht nur im
technischen Kern, sondern auch in der äußeren Gestaltung unmittelbar nach. In
Technikmuseen lassen sich vielerlei Geräte bestaunen, die wie Dampfloks
aussehen, aber Kaffeemaschinen sind.
Als Motiv hielt sich die Dampfmaschine bis in die 1940er Jahre, verlagerte sich jedoch vom äußeren Anblick der Lokomotive zur inneren Perspektive des Lokführers, der nun als (männlicher) Barista vor der Maschine stand und deren mitunter äußerst komplexes Funktionieren steuerte. Die schon am Beginn des 20. Jahrhunderts eingeführte Kombination von Wasser und Dampf erlebte eine wahre Sprunginnovation erst in der Jahrhundertmitte, als mit dem mechanischen Hebel der Druck als dritte Komponente dazu kam und damit nicht nur das Funktions- und Gestaltungsprinzip, sondern auch die Qualität des Ergebnisses deutlich verbesserte.
Jetzt erst war Espresso im heutigen Sinne
möglich. Espresso, der auch seinen Namen verdiente.
Als Motiv hielt sich die Dampfmaschine bis in die 1940er Jahre, verlagerte sich jedoch vom äußeren Anblick der Lokomotive zur inneren Perspektive des Lokführers, der nun als (männlicher) Barista vor der Maschine stand und deren mitunter äußerst komplexes Funktionieren steuerte. Die schon am Beginn des 20. Jahrhunderts eingeführte Kombination von Wasser und Dampf erlebte eine wahre Sprunginnovation erst in der Jahrhundertmitte, als mit dem mechanischen Hebel der Druck als dritte Komponente dazu kam und damit nicht nur das Funktions- und Gestaltungsprinzip, sondern auch die Qualität des Ergebnisses deutlich verbesserte.
Das Vernünftige entsteht aus dem Unvernünftigen
Das Erstaunliche an dieser Entwicklung ist, dass diese
Erfindung zuerst aus sinnbildlichen, zeitgeistigen Motiven gemacht wurde, und
erst ein halbes Jahrhundert später eine damit mögliche Funktion hinzu entdeckt
wird. Dies zeigt, was in der Geschichte der Technik schon oft beschrieben
wurde: dass nämlich selten nur eine Funktionsidee der Entwicklung von
Ingenieurslösungen voraus geht, sondern historisch häufiger ein Spiel oder
Zufall am Anfang steht, das nachträglich zu rationalen und funktionalen
Verwendungen der dabei zutage getretenen Effekte anstiftet.
Die Umstellung auf Elektrizität hatte zwar eine
Vereinfachung der Zubereitung, dabei aber keine wesentliche Änderung am
Funktionsprinzip oder am Ergebnis mit sich gebracht. Doch wer nun glaubt, die
Erleichterung und Beschleunigung des Kaffeemachens sei als Fortschritt im
funktionalen und rationalen Sinne zu begreifen, irrt. Betrachtet man den heutigen
Markt der Heim-Espresso-Maschinen, so zeigt sich, dass neben der Convenience
auch das umgekehrte Prinzip, vor allem im hochpreisigen Segment, wachsende
Marktanteile gewinnt: Das Prinzip der Komplikation. Siebträgermaschinen machen
das Kaffeekochen zu einem äußerst zeitraubenden, umständlichen und von
schwankendem Erfolg gekrönten Vorgang. Es geht dabei um ein Ritual, das
(ähnlich wie die erwähnte Bitternis) den Genusskaffee vom Alltags- und
Allerweltskaffee abzuheben gestattet und damit auch eine soziale Distanz
zwischen dem wahren Connaisseur und dem gemeinen Bürokaffeemenschen markiert.
Obwohl wir das Prinzip, uns Zeitstrecken auf lustvolle Weise möglichst
schwierig und anstrengend zu gestalten, aus allen Sportarten (aber auch
Kreuzworträtseln für den Gehirnsport) kennen, fällt es uns schwer, bei der
Produktentwicklung nicht dem Glauben an die universale Gültigkeit des
Nützlichkeitsprinzips anzuhängen. Die Verkleinerung des Aufwands für ein
Ergebnis mag im B2B Bereich gelten, für Consumer Products gilt es manchmal,
manchmal auch nicht.
Zwei besondere Modelle, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute erfolgreich sind, dürfen nicht unerwähnt bleiben. Als innovationsresistenter Klassiker hat sich die Bialetti-Kanne erwiesen. Technisch eine Vorgängerin des Espresso-Prinzips, folgt sie in ihrer inneren Organisation dem alten Geist der Alchemie, ein Stück Weit auch der Physik der Dampfmaschine, denn sie benutzt die Verdampfung, um das heiße Wasser durch den Kaffee zu treiben. In ihrer äußeren Gestalt aber ist sie bis heute der Ästhetik des Kristallinen verpflichtet, einem Design-Stil, der zwischen 1900 und 1920 mit seiner natürlich anmutenden Geometrisierung zur Geburt der Klassischen Moderne beigetragen hatte. Im Symbol des Kristalls schimmert auch noch ein wenig der Stein der Weisen als zentrales Symbol der Alchemie durch. Ihm wurde zugetraut, ein Element in ein anderes zu verwandeln. Im Optimalfall in Gold. Im Falle des Kaffees wandelt dieser Kristall ein braunes Pulver zu duftendem Kaffee.
Zwei besondere Modelle, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute erfolgreich sind, dürfen nicht unerwähnt bleiben. Als innovationsresistenter Klassiker hat sich die Bialetti-Kanne erwiesen. Technisch eine Vorgängerin des Espresso-Prinzips, folgt sie in ihrer inneren Organisation dem alten Geist der Alchemie, ein Stück Weit auch der Physik der Dampfmaschine, denn sie benutzt die Verdampfung, um das heiße Wasser durch den Kaffee zu treiben. In ihrer äußeren Gestalt aber ist sie bis heute der Ästhetik des Kristallinen verpflichtet, einem Design-Stil, der zwischen 1900 und 1920 mit seiner natürlich anmutenden Geometrisierung zur Geburt der Klassischen Moderne beigetragen hatte. Im Symbol des Kristalls schimmert auch noch ein wenig der Stein der Weisen als zentrales Symbol der Alchemie durch. Ihm wurde zugetraut, ein Element in ein anderes zu verwandeln. Im Optimalfall in Gold. Im Falle des Kaffees wandelt dieser Kristall ein braunes Pulver zu duftendem Kaffee.
Das zweite Modell, das Hervorhebung verdient, hat sich
entlang der Geschlechterdifferenz von der männlichen Linie der Dampfmaschinen
abgesetzt, es wurde von einer schwäbischen Hausfrau entwickelt, die auf den
Vornamen Melitta hörte. Weder Chemie noch Dampfmaschine, sondern simple
Küchentechniken wie Löschblatt, Trichter und Sieb kommen zum Einsatz, der
Vorgang erfolgt gemächlich und gemütlich, die Brühe ist sparsam, ergiebig und
dünn. Die kulturelle Produktanalyse im Detail sei einem folgenden Kapitel
vorbehalten.
In den 50er bis 70er Jahren wurde im Privathaushalt die
Melittatechnik elektrifiziert, automatisiert und mit Kunststoffhüllen
umkleidet. Spektakulär waren hingegen die Gastronomie-Geräte. Technisch wurde
nur der Handhebel durch elektrische Pumpen ersetzt. Die ästhetische Hülle
jedoch gab sich dem Glanz der Moden hin. Zwischen bauchigem Wurlitzer und
Straßenkreuzer in den 50ern, rechteckig modernistisch in den 60ern, popig mit
runden Ecken in den 70ern. In den Achtziger Jahren folgten postmoderne
Rückgriffe auf die Hebelmaschinen, auf die Moderne folgte die Nostalgie.
Ab den 90er Jahren zeichnete sich in der Gesellschaft ein
grundlegender Richtungswechsel der Technik ab. Waren bisher
Transporttechnologien und deren Beschleunigung (von der Dampfmaschine übers
Auto und Flugzeug bis zur Rakete) im Zentrum der Aufmerksamkeit und des
Selbstverständnisses gestanden, so gingen nun Medientechniken in Führung. Nicht
mehr der Mensch sollte durch die Welt bewegt werden, sondern die Welt wurde zum
Menschen transportiert, erst durch das Fernsehen, dann das Internet, heute im
Modus des mobilen Online-Seins.
Die Kaffeemaschine folgt in ihrer Entwicklung den jeweiligen
Leit-Technologien. War es da nicht naheliegend, oder geradezu zwingend, deren
Design in eine zumindest assoziative Nähe zu den jeweils aktuellen
Gerätschaften des Medienempfangs zu rücken? Genau das tat die WMF, mit viel
Erfolg. Die Gastro- und größeren Haushaltsmaschinen lehnten sich an die Fernsehgeräte
an, um an der Faszinationskraft des Flachbildschirms zu partizipieren. Die
Kaffeemaschine wurde zur Theaterbühne und zum Rahmen. Aus „elektrisch“ wurde „elektronisch“,
das zeigte sich am modernen Display. Und als der iPod den Musikkonsum revolutionierte,
zögerte WMF nicht, eine neuartige technische Lösung zu entwickeln, die es
gestattete, eine auf individuellen Genuss zugeschnittene kleine Maschine zu
entwickeln, die aussah wie ein iPod.