Dienstag, 26. November 2013

Das Jetbett

Produktanalyse einer Innovation der 1970er Jahre


Wer kennt es nicht, das Kulturschandmal in Bettgestalt, in dem das durchschnittliche junge Aufsteiger-Ehepärchen der 70er Jahre Nacht für Nacht wohl vergeblich nach dem Mehrwert des Schlafes fahndete? Kann man beim Schlafen mehr als schlafen, beim Liebe machen mehr als lieben? Bis hinein in die 1980er Jahre gab es ein Objekt, das solcherlei Steigerungsformen versprach: das Jetbett. Wir wollen es seinem Wesen nach das Vollintegrierte Totalbett nennen. In den damals neuen gigantomanischen Möbelhausmaschinen am Stadtrand füllte das Unding ganze Etagen, in hunderterlei Variationen. 1974 vom Hersteller Ruf auf den Markt gebracht, generierte das "Jetbett" bald 70% des Umsatzes.




Du betrittst ein Möbelhaus, beinahe vertreibt Dich der ätzend-chemische Möbelgeruch, doch der neue Lift zieht Dich magisch an, es ist ein vollintegrierter totaltransparenter Rundlift, der dir die Möglichkeit bietet, in einem Zylinder auf und ab geschoben zu werden und dabei auch noch den Überblick zu bewahren. Und dann die Bettenetage! Tausende Quadratmeter voller Schlummertüten, Wunschmaschinen, Polsterhügel, Sexgräber, Schlaflandschaften, Rustikalpodeste, Körperablagen. Alles, nur kein Bett. 

Das Vollintegrierte Totalbett (kurz: VTB), wer könnte es erfunden haben? Sicherlich kein Architekt oder Designer, denn dann hätte es wohl Beine, oder wäre zumindest nicht so amorph und scheinbar amöboid-wabernd. Ein Marketingfachmann mit tiefenpsychologischer Grundausbildung dürfte sein fragwürdiger Urheber gewesen sein. Denn das VTB ist ein durchkalkuliertes Angebot zur Regression. Da ist kein infantiler Wunsch übrig, der in ihm nicht vergegenständlicht wäre. 



Warum etwa darf das VTB keine Beine haben? Etwa wegen des Stauraums für das Bettzeug? Nein, denn der ist nur ein Rationalisierunggebilde mit dem Zweck, den Triebstauraum zu verschließen, den die infantile Paranoia in der dunklen, unsichtbaren und daher unkontrollierbaren Zone unterm traditionellen Bett projektiv lokalisiert. Der Pavor nocturnus, die frühkindliche Angst vor der Dunkelheit, siedelt das Reich der Geister, Repräsentanten der Triebe, Verbote und Ängste, im Schattenreich zwischen den Bettbeinen an. Das Unterbewußte, das dem traditionell-funktionalen Bett äußerlich bleibt und topisch konsequent nur unter diesem vermutet werden kann, wandert beim VTB in das Bett selber ein, indem es ihm die Form gibt. 

Das VTB hat keine Hohlräume und Nischen, keine unsichtbaren Zonen, die von Ängsten bewohnbar wären, es ist vielmehr gekennzeichnet durch eine homogene, geschlossene, pralle Äußerlichkeit. Es wirkt stets wie aus einem Guß gemacht, nicht gezimmert, sondern geknetet, wenn nicht gar vom Herrgott persönlich aus einer Tube voller himmlischer Glückspaste hervorgequetscht. Doch der Zwang zur geschlossenen Außenhaut, zur undurchbrochenen Körperlichkeit, verrät die Anstrengung, die es kostet, sich die Ängste mittels Design vom Leib zu halten. Zum Unterschied von einem Bett, das eine Vorrichtung ist, auf der sich ein Körper ausruhen kann, ist ein VTB selbst ein Körper. Dieser Körper suggeriert, selbst ein Lebewesen zu sein, denn er ist aktiv, steckt voller geheimer, versteckter, eben totalintegrierter Funktionen, die den Schlaf zum Erlebnisschlaf steigern sollen. 




Das VTB verheißt keine Ruhe, im Gegenteil, noch der Schlaf wird umgedeutet zur Aktivität. Ein multifunktionales high-tech-Bett für den Aktivschläfer, Vollschläfer, Totalschläfer, Extremschläfer, Halbschläfer - gar für den Wachschläfer? Der Körper des VTB-Wesens hat keine Kanten und Ecken wie ein Möbel, sondern ist rundum rund und weich, aerodynamisch geformt (für Flugträume), gepolstert und Plüschbezogen, ein freundliches Pelztier, das seine vollintegrierten Nachtkästchen wie Arme ausbreitet, die bereit sind, den Schlummerer zu umschlingen. Komm in meine Arme, Liebling, jubelt der Bettkörper dem Konsumenten zu, in Morpheus' Arme, und der alte Morpheus rotiert gequält in seinem Himmelbett.



Aber was ist denn nun da alles integriert in jenem Totalbett, das so sehr aus einem Stück ist und doch voller Funktionen steckt? Der individuelle volldigitalisierte Weck-Alarm mit Zeitanzeige im Kopfkissenbereich, der den Schläfer daran erinnert, was er früh morgens zu beginnen hat, um die Raten des 1500-Euro-Bettes zurückzahlen zu können. Wie tief der Schläfer auch schläft, die integrierte Weckuhr wacht für ihn, leuchtend und blinkend erzählt sie von ihrer Unermüdlichkeit, die anderntags die Unermüdlichkeit des Bettenbesitzers einleuten wird. Dann wäre da das individuelle Radio mit Schlummertaste und Lautsprecher im Ohrbereich, ebenfalls vollintegriert und im Design zum Totalbett abgestimmt. Mütterchen Bett singt ein Schlummerliedchen. 



Auf die Höhe der medialen Totalversorgung hebt den Schlaflosen ein Elektromotor, der auf Knopfdruck den Kopfteil des Bettes hochfährt und in eine Rückenlehne verwandelt: die Fernsehstellung fördert die Aufnahmebereitschaft für die abendliche Ankoppelung an das elektronische öffentliche Bewußtsein. Ein eingebauter Ganzkörpervibrator entspannt die müden Glieder so, daß unnütz lange Einschlafzeiten vermieden werden können. So beschleunigt das VTB den Gesamtschlafprozeß und steigert somit die Produktivität ebenso wie die Intensität der Freizeitnutzung des Schlafkonsumenten. 



Auch die Leselampe darf kein Eigenleben führen, integriert in den Nackenwulst vermittelt sie dem Bett eine für Betten ungewöhnliche neue Qualität - sie bringt das Bett zum Leuchten. Weiters integriert: der Aschenbecher zur Beerdigung des Überbleibsels des letzten Lutscherlebnisses vor dem Einschlafen, und ein Pillendöschen für das obligate Schlafpulver, das man wohl braucht in einem derart aktiven Intensivbett. Die Liegefläche ist von einem Wulst umwunden, der auch die Funktion eines Tisches verspricht, denn auf manchen Werbebildern sind darauf Sektgläser abgestellt. Neben einem solchen Bett haben, wie ich dem Prospekt weiters entnehme, Palmen zu stehen, wenn es stilgerecht zugehen soll. So ersetzt das Totalbett den Urlaub, den man sich nach dessen Kauf sowieso nicht mehr leisten kann.



Manch ein VTB hat in den Kopfteil auch Spiegel integriert, als einziges Zeichen, daß es nicht nur Schlafbett, sondern auch Sexbett ist. Sein Sex ist der der modernen Warenwelt: narzißmusgerecht und selbstkontrolliert. Spätestens beim Spiegel wird klar, daß in einem VTB nur solche Körper schlafen können, die stylingmäßig hineinpassen. VTB-Besitzer müssen Bodybuilding betreiben, wenn sie es ästhetisch mit ihrem Bett aufnehmen wollen. Setzt ein VTB-Besitzer mit den Jahren Fett an, so muß er wohl sein Bett verkaufen, wenn dessen Perfektion ihn nicht beschämen soll. Schrecklich muß es sein, in einem solchen Unbett krank zu sein, der ästhetische Widerspruch zwischen dem Menschen- und dem Bettenkörper würde eine Genesung schwerwiegend verzögern. Die größte Tragödie aber wäre es, in einem VTB sterben zu müssen, verlacht vom eigenen Totenbett. 



Der VTB-Schläfer unterliegt seiner bedeutungsträchtig aufgeplusterten Unterlage, die im Schlaf noch über ihn herfällt mit ihrem Überschuß an Sinn. Das Bett dient nicht mehr seinen vielfältigen Funktionen, sondern übernimmt die Herrschaft über das Selbstgefühl eines Menschenlebens, indem es am schwächsten Punkt ansetzt, um seinen Sinn dem schlafenden Körper aufzudrängen. Dieser ist im Verhältnis zu dem massiven Bettkörper nur noch Zubehör. Das Riesenbett ist buchstäblich eine Falle, wie man sagt. Es verschlingt den Schläfer, verleibt ihn sich ein, lutscht ihn sich 'rein, lullt und döselt ihn ein, macht ihn zunichte, bewußtlos. Im vollintegrierten Totalbett erlebt der Benutzer seine eigene Totalintegration ins Vollbett. 



In einem Bett, das singt, leuchtet, wackelt, den Körper bewegt und ihn einschlafen und aufwachen macht, muß man alle Hoffnung begraben, daß die Menschheit jemals erwachsen werden könnte. Wie soll aus einem Regressionsbett morgens ein mündiger Bürger schlüpfen? Einer, der zu den Dingen, die ihn umgeben, ein anderes Verhältnis entwickeln kann, als das der Identifikation mit ihnen? Das zur totalversorgenden Plüsch-Supermutter aufgeblähte VTB ist ohne Zweifel eine Volks-Infantilisierungsmaschine. Es muß daher als ernste Bedrohung der abendländischen Kultur angesehen werden, jawohl!



Was aber ist der Hintersinn, was ist das Betriebsgeheimnis jenes Bettes, das zugleich Cockpit einer fliegenden Untertasse, technoides Mäusenest, Körperkochmulde, autoerotisches Kuschelfahrzeug, Schnellschläferwerkzeug und Traumbackofen sein will? Ohne Zweifel ist das VTB eine ödipal-inzestuöse Wunschmaschine, eine Traumverdichtung. Das Bett selber wird zum Liebesobjekt, tritt an dessen Stelle. Es lädt zum Liebesakt ein, aber nicht mit dem Partner, sondern mit ihm, dem Bett. Es hat einen Körper, um zu suggerieren, daß das Ins-Bett-Schlüpfen eine Vereinigung zweier Körper ist. Im VTB steckt das Versprechen einer libidinösen Autarkie, eines perfekten Zustandes des Immer-schon-versorgt-Seins. Alle Entbehrungen des realen Sexuallebens verheißt das Bett wettzumachen. Gleichzeitig beschwört es auf magische Weise den Sex herbei - wenn auf diesem Bett keine Orgiastik stattfindet, ja, wo soll sie denn dann...
Doch psychoanalytisch allein ist die Tiefe der VTB-Polsterung nicht auszuloten. Die Textilmuster geben weitere Hinweise, welchem Muster der Text folgt, den das Bett zu uns spricht. Bunt blühende Orchideen recken ihre prallen Stempel der Haut des Schläfers entgegen, Tigerfelle scheinen unter ihm ausgebreitet, Dreiecke und parallele Linien aus dem high-tech-Design zeigen Exaktheit, Funktionalität und Rationalität am Schlafplatz an. Pflanzliches, Tierisches und Technisches weisen auf das Grundmuster des VTB hin: die Verschmelzung des Organischen mit dem Maschinellen. Hierin können wir den Grund für die Integration aller funktionellen Teile in den Bettkörper erkennen. Lampe, Radio und Wecker wären für sich genommen eindeutig Maschinen. Mit ihrem Einbau in den Bettkörper verlieren sie ihren Maschinencharakter und werden zu Organen, die dem Bettkörper Lebendigkeit verleihen. Das Bett wird zoomorph, wird scheinbar zum Lebewesen. Die Funktionen werden zu einer diffusen Einheit homogenisiert.



Unter der Plüschhaut konstituiert sich die Einheit des Bettsubjekts. Dieses ist eine organische Maschine und ein maschineller Organismus. Was an der Vorstellung des Organs noch maschinell ist, wird möglichst kaschiert, um nur noch die Innen-Außen-Differenz des Bettes zum Zeichen einer vitalen Einheit hochzustilisieren. Scheinbar ist das Bett dank seiner geschlossenen Oberfläche ein organloser Körper, gleichzeitig omnipotent. Die geschlossene Einheit des VTB verspricht dem Schläfer die Erlangung einer ähnlich entdifferenzierten Verfassung seiner eigenen Subjektivität, ein Ende des Kriegs der Organe und Funktionen. Die weichtierähnliche Form des VTB verleugnet dessen funktionale Ausdifferenziertheit zugunsten einer phantasmatischen Beseeltheit mit Vitalenergie. Als animistisches Objekt beschwört es die nächtliche Reintegration der tagsüber durchlittenen funktionalen Ausdifferenzierung. Sollte das vollintegrierte Totalbett in sich einen Traum träumen, so wäre dies ein Traum von der Rücknahme jener Sorte von Arbeitsteilung, der es seinen monströsen Körper verdankt.