Freitag, 28. Juni 2013

Unmerkliche Produkte, sind die möglich und verkäuflich?

Das älteste unsichtbare Produkt ist Gott, sein Hersteller die Kirche. Auch wenn Gott nicht der erste Produzent des Kosmos war, kann man ihm nicht absprechen, mit dem Kreuz das erste und gleich erfolgreichste aller Markenzeichen auf den Plan gerufen zu haben. 

Wer erinnert sich noch an "Hi-Fi"? Die teuren Anlagen, die unter diesem Label verkauft wurden, waren keineswegs unsichtbar, im Gegenteil, sie füllten Wohnzimmerschränke. Dennoch zählten sie zu den unmerklichen Produkten. Der Qualitätsunterschied des Klangs nämlich, der ihr Wertversprechen ausmachte, war nur mit feinsten Messgeräten feststellbar. Dem menschlichen Ohr blieb der Genuss jenseits der Wahrnehmungsgrenzen versagt. Das Hörprodukt blieb unhörbar, doch jeder kaufte, und keiner fand das unerhört. Doch ist der Mensch langfristig doch lernfähig: heute interessiert beim Musikkonsum nur noch die Verfügbarkeit. Klang ist kein Thema mehr. Seine Qualität scheint in dem Maße gegeben, die am besten mit jenem Begriff benannt wird, den die Firma Rolls Royce stets als Antwort gab, wenn sie nach der Anzahl der Pferdestärken gefragt wurde: "plenty". 

Hartnäckiger hält sich das "Hi-Fi-Syndrom", Unmerkliches zum Produkt zu machen, in der Welt der Ferngläser. Deren Hersteller präsentieren Jahr für Jahr Produktneuheiten, die mit einer Qualitätsverbesserung angepriesen werden: Da wurde der Brechungsindex des Mittelprismas angehoben, dort die Entspiegelung der Lichtaustrittslinse mit neuer Bedampfungstechnologie optimiert. Alles im Dienste des Sichtbarwerdens, und doch dem Menschenauge unsichtbar. Zum Glück gibt es Messgeräte, die objektiv beweisen, was das Objektiv dem subjektiven Auge vorenthält. Der große Vorteil an unmerklichen Produktvorteilen ist, dass das Verhältnis zwischen Fantasienutzen und Preis nur von der Fantasie ermessen werden kann und somit unermesslich ist. Wir bewegen uns, wie bei Hi-Fi, im gehobenen Preissegment. Die Hersteller brüsten sich mit ihrer "unglaublichen" Innovationskraft. Konsumentenseitig und kritisch betrachtet, hat die Branche der Fernglashersteller seit 100 Jahren keine Innovation mehr zustande gebracht (mit Ausnahme der Verkopplung mit einer internetfähigen Digitalkamera durch den amerikanischen Hersteller MEADE). Scheinprodukte und Scheininnovationen zeigen sich somit als enge Verwandte. 



Das Unsichtbare ist überall!

In unserer Kultur wird das Sichtbare überbewertet. Schließlich kann man kein Sinnesorgan besser betrügen, als jenes, das seine Wahrnehmungen für evidente Wahrheiten hält. Der größte Aufwand an medialer Simulation ist ans Auge adressiert. 

Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel indes sprach dem Klang eine besondere Nähe zum Geist zu. Erklingendes ist so unsichtbar wie das Nachtgespenst und durchdringt Wände wie dieses, während Licht an den Festkörpern abprallt. Doch auch ohne Kenntnisse moderner Physik ließ sich am Phänomen des Echos ablesen, dass Schall sich ausbreitet. Ob er damit zu den „res extensa“, den ausgedehnten Dingen gehört, oder dank Unsichtbarkeit zu den „res cogitans“, wurde nie ausdiskutiert, bevor das Thema obsolet wurde: Der Geistbegriff ist gestrichen, die Geisteswissenschaften umbenannt, wer will da bestreiten, dass es mit dem Geist bergab und bergab geht?

Immer schon ganz unten angesiedelt, in der Hierarchie der Sinne, im Verdacht der Bodennähe wie auch in der Naturgeschichte der Moral, war der Geruch. Die Geschlechtsorgane sind ja auch irgendwo „unten“, zumindest vom „geistigen“ Haupt her betrachtet. In einer Niedrigkeit, auf deren Höhe sich vor der Entwicklung des aufrechten Gangs auch die Nase befand, wie Sigmund Freud pikant bemerkte. 

Zudem zählen die Fäkalien zu jenem Teil der menschlichen Natur, den zu bestreiten alle Kultur erfunden ward. Die Utopie geruchsfreier Existenz gehört ganz wesentlich zum Projekt der Moderne. Weil es „schlechten“ Geruch gibt, wurde der Geruchsinn insgesamt den „niederen Sinnen“ zugezählt. Als Sinn ist er einfach zu sinnlich.


Damit Natur nicht ruchbar wird, gibt es schon lange das Parfum, neuerdings auch als elektrischen Raumduftspray. In einer naturreligiösen Zeit riecht dieses jedoch zu künstlich. Paradox wird die Erlösung vom Geruch nun von der Natur erhofft. Als „Frischluft“ wird „reine Luft“ im Spray verfügbar. Versetzt mit „Wald“-Aroma riecht sie danach, dass nichts riecht.