Freitag, 26. April 2013

Das iPhone, jetzt auch als Kunstwerk






Das Handy war als Instrument anfangs an Ohr und Mund adressiert. Heute wendet es sich vermehrt dem Auge zu. In Zukunft wird die Hand seine erste Adresse sein. Dann erst wird der pseudo-englische Name Handy rückblickend wahr und treffend geworden sein. Und sich als so visionär erwiesen haben, wie es seiner Herkunft entspricht. Schließlich stammt die deutsche Bezeichnung „Handy“ aus der Fernsehserie Raumschiff Enterprise.

Immer weniger Telefon wird das künftige Mobilephone sein, sondern universales Verbindungsstück zwischen Hand und Welt. Eine Art Pass-Stück, ein Menschenadapter, ein Interface, besser noch: ein „Interhand“. Mit ihm werden wir steuern, welche Datenströme aus der Wolke des Cloud-Computing wir wählen, weiterleiten oder verknüpfen wollen. Wir werden mittels Fingerabdruck-Sensor jeden Kaufakt durchführen. Und das Haus steuern, vom Garagentor über die Heizung bis zum Mediacenter.

Das Handy der Zukunft ist ein Weltwerkzeug, mit dem wir im Griff haben, was unsere Aufmerksamkeit verdient hat, und was nicht. Der Philosoph Martin Heidegger hat einmal von der „Zuhandenheit von Welt“ gesprochen. Wir sollten ihn dafür als geistigen Vater des iPhone in Erinnerung behalten.

Die gehäkelte Variante ist bestrickend, weil sie außen griffig zeigt, was die innere Natur des iPhone ist: Garn (Erzählung), Knoten (im Netz), Verknüpfung (Links), Abbildung (Interface) und die Verknüpfung all dessen.

Mittwoch, 10. April 2013

Sich mit Neuem anfreunden ist ein lohnendes Investment






Um zum Tourscout bei der Überwindung von Innovationsbarrieren zu werden, lohnt es sich zu üben und zum intimen Kenner ähnlicher Erfahrungen und Prozesse zu werden. Wird beispielsweise ein neues Musikstück in die Playlist einer Radiostation aufgenommen, ist folgender Effekt zu beobachen: Gefällt einem das Stück schon beim ersten Mal hören, kann man daraus folgern, dass nur eine kurzfristige Karriere als „Hit“ zu erwarten ist. Braucht man jedoch mehr als fünfmaliges Hören, bis man die Musik zu mögen beginnt, kann man daraus auf die Möglichkeit schließen, dass diese es zum Longseller schafft und eines Tages als Schritt in der Musikgeschichte angesehen wird. Wirklich gute Nummern gefallen nie beim ersten Mal - sie sind nämlich innovativ. Die Schwelle vor dem Genießenkönnen markiert die Möglichkeit großer Bedeutung, beweist diese jedoch nicht. Die Ablehnung neuer Musik kann schließlich auch die Folge ihrer nachhaltigen Ungenießbarkeit sein.

Parallel zur prinzipiellen Anfangs-Ablehnung des Neuen zeigt sich hier ein zweiter Effekt im Prozess der Akzeptanzbildung: Je höher die Schwelle war, die überwunden werden musste, um so stärker fällt das Erfolgserlebnis aus. Wer die Disziplin aufbringt, gegen das anfängliche Unbehagen seine Aufmerksamkeit beim Neuen zu halten, wird belohnt mit Intensität und tiefer Verankerung des Erschließungs-Erlebnisses. Begeisterung für und Bindung an das Neue wachsen mit dem Neuheitsgrad, gerade weil dieser einen so hohen Eintrittspreis gefordert hat, der sich schließlich als lohnend erwies. Nicht nur Neues hervorzubringen ist ein Investment, auch Neues akzeptieren zu lernen ist ein Investment, das sich erst später, dann aber oft doppelt lohnt.

Dienstag, 2. April 2013

Wendepunkt der Technikentwicklung: die Fitnessmaschine

 Sowohl die Technik als auch der Mensch sind sich selbst
zum Gegenstand der Bearbeitung geworden



Betrachtet man ein Fitnesscenter als Bühne gesellschaftlicher Selbstinszenierung, so sind es vor allem alte technikgeschichtliche Bilder und Mythen, die hier dramatisiert werden. Alle Stadien der Technikentwicklung sind reihum vertreten. Die Hantel repräsentiert das einfache, von Hand zu bedienende Werkzeug. Bodybuilding-Geräte demonstrieren Rad und Hebel als archaische Urahnen der Technisierung. Davon unterscheiden sich Fitnessmaschinen, die ihre komplexere Mechanik bereits hinter Verkleidungen verstecken, um Projektionen phantastischer Wirksamkeit zu ermöglichen. Die höchst entwickelten unter ihnen, vor allem Fahrradtrainer, beinhalten auch Elektronik, Computer und Touchscreens zur Selbstrepräsentation und Simulation des “Fahrers” in einem fiktiven Gelände.

Insgesamt scheint diese Szenerie auf den ersten Blick gut geeignet, in einem Technikmuseum die Stufenleiter der Entwicklung zu illustrieren. Und doch gibt es einen entscheidenden Unterschied: Alle hier versammelten Gerätschaften sind in ihrer Funktion spiegelbildliche Umkehrungen jener tradierten Techniken, die in ihnen anschaulich werden. Der Hebel etwa war bisher Inbegriff des Prinzips, den menschlichen Körper von Anstrengung zu entlasten. Und mit geringerer Kraft, klug umgelenkt, Schwereres zu bewegen. Bis heute ist der Hebel das einfachste Modell, das unser Verständnis von Technik gleichsam auf den archimedischen Punkt bringt: Die saubere Trennung von Mittel und Zweck. Das ökonomisierende Verhältnis von Aufwand und Ergebnis. Wirksamkeit, von der man sich noch vorstellen kann, dass sie nur in eine Richtung geht, und nicht zurück wirkt. Vollständige rationale Nachvollziehbarkeit und Durchschaubarkeit. Fehlen von Verselbständigung und Eigendynamik. Dienend, ohne den Herrn zu versklaven oder auch nur zu verwandeln. Weder Ressourcen vernichtend noch Abfall erzeugend. An die Natur adressiert, um diese zu beherrschen. Der Hebel, das unschuldig neutrale Stück Idealität dessen, was wir mit Technik meinen.

Im Fitnesscenter wird der Hebel so zur Anwendung gebracht, dass sich die Hebelwirkung umkehrt. Schließlich geht es hier nicht um die Entlastung des Körpers, sondern im Gegenteil, um seine optimale Belastung. Zu dieser leistet ein funktional gewendeter Hebel ebenso gute Dienste, wie ein Fahrrad, mit dem man auf der Stelle tritt.

Nun kann man Fitnessgeräte in ihrem eigenen Kontext, in welchem Körperbelastung als Zweck vorgegeben ist, durchaus als technisch beschreiben. Erweitert man jedoch den Kontext und blickt auf die Technik als Gesamtphänomen, wirken Fitnessmaschinen darin paradox. Die traditionelle Erklärung, der Mensch habe die Technik entwickelt, um sich von körperlicher Mühe zu entlasten und die Natur in eine ihm bequemere Kulturwelt umzuformen, stößt an eine Grenze, sobald Maschinen nötig sind, um die allzu entlastenden Wirkungen der Technik auf den Körper durch “effiziente” Belastung zu kompensieren. Die Fitnessmaschine ist eine Anti-Maschinen-Maschinen, genau deshalb ist ihre Bauart die präzise Umstülpung der klassischen Maschine. Nur strukturell ähnelt das Fitnesscenter der Maschinenhalle einer Fabrik – die Umkehrung der Verhältnisse von Mittel und Zweck, Arbeiter und Bearbeitetem lässt es als deren szenische Parodie erscheinen. Die Parodie aber ist eine Form, die gegenüber Verunsicherndem die Ausflucht  in harmlose Heiterkeit anbietet. Wenn nicht die Technik selbst, so ist zumindest ihre bisherige Begründung und Erklärung in eine Krise geraten. Die Fragen nach Sinn und Zweck der Technisierung sind nicht nur doppelt komplex, sondern auch paradox geworden, seit Technikkompensationstechnik notwendig ist. [...]




Ausschnitt aus dem gleichnamigen Essay, dieser steht als PDF vollständig zum Download bereit auf der Publikations-Plattform scribd.com.

Erschienen in: Konstruktiv, Zeitschrift der Österr. Kammer der Architekten und Zivilingenieure, Wien, im Dezember 2011