Mittwoch, 27. März 2013

Innovation im Mund: Recodierung als Aufgabenstellung der Produktentwicklung







Was Form ist, davon haben wir eine Anschauung und einen Begriff. Das Formlose existiert nur als Begriff, dem es an Anschaulichkeit definitiv mangelt. Schöpfungsmythen zahlreicher Religionen haben uns erzählt, das Geformte sei aus dem Ungeformten entstanden. Doch wer hätte das Formlose jemals erspäht?
Wie das Einhorn gehört es zu den Gedankendingen. Zum Unterschied von diesem hat es jedoch im Diesseits einen Verwandten, der ihm nahe kommt: Den Kaugummi, wie wir ihm an den Unterseiten von Tischen und Stühlen täglich begegnen.

Warum wir diesen nicht als metaphysisches Objekt wahrnehmen, rührt daher, dass in seiner Unförmigkeit keine Form ihren Ursprung hat. Sie ist vielmehr ex post ein nachhaltiges Memorial lustvoll gelebter oraler Destruktivität. Nur annähernd formlos ist der Kaugummi, seine Form ist vielmehr programmatisch instabil. Wenn es jemals so etwas wie „die gute Form“ gegeben haben sollte, können wir über den Kaugummi mit Gewissheit sagen, er sei die böse Form schlechhin.

Diese bedarf verstärkt der Verhüllung, mehr noch, des Dementis. Die Verpackung in Dosen, deren Form an Arzneimittel erinnert, führte Wrigley´s 2006 ein, um den Kaugummi zum Verkünder von Gutheiten umzukodieren: er macht schlanker und intelligenter, entwöhnt Raucher, schützt vor Karies und Stress. Von der Protestgeste der 50er-Jahre Jugend gegen alles Bürgerlich-Formale wandelte sich das Kauen in ein Mittel, in Form zu bleiben.

Diese Innovation hat eine Ingenieurs- und eine Gestaltungsseite. Technisch wurden Granulate beigefügt und der Zucker ersetzt, um dem Zahnreinigungsgedanken materielle Substanz zu verleihen. Doch ohne die äußere Form würden wir niemals glauben, dass Kaugummikauen aus uns einen besseren Menschen macht.